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Bye Bye Poldi Panzer – von unsichtbaren und sichtbaren Panzern

Ich berichte in meiner Kolumne „Bye Bye Panzer“ über sehr persönliche Erlebnisse aus meinem Leben und meinem Weg aus der Essstörung. Es könnte sein, dass dich dieses Thema in irgendeiner Form triggert oder dir nicht gut tut. Bitte achte auf dich.

Mein lieber  Poldi,

hier sind wir wieder. Fast ein Monat ist vergangen, seitdem wir uns das erste Mal getraut haben ganz offen über uns zu sprechen. Wie geht es dir heute? Komm, nimm dir einen Drachenkaffee und lass uns weiterreden. Es gibt so viel Neues zu erzählen.

Weißt du, was mich wirklich richtig glücklich gemacht hat? Ich war ja doch sehr nervös mit unserem ersten Beitrag. Hui. Mich haben aber im Anschluss unglaublich viele E-Mails erreicht und mir ist klar geworden, du hast jede Menge Geschwisterchen da draußen. Wusstest du das eigentlich, lieber Poldi? Viele Frauen und Männer haben sich getraut uns ihren Panzer vorzustellen und sich mir gegenüber zu öffnen. Das ist ein großer Schritt, der viel Mut erfordert. Ich danke daher allen hier einmal für das Vertrauen und weiß dieses Geschenk sehr zu schätzen. Ihr habt mir gezeigt, ich nicht allein bin, denn jeder von uns hat einen Panzer. Einige sind unsichtbar und andere – wie bei mir – nicht zu übersehen.

Ich möchte zwei deiner Geschwister nun heute unbedingt einmal besser kennenlernen. Was meinst du, lieber Poldi. Hilfst du mir dabei? Legen wir los:

tanja marfo poldi panzer unsichtbare panzer
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Kennst du Lexi?

Sie trägt einen Panzer mit sich, den niemand sehen kann.

Sie geht jeden Tag zur Arbeit, funktioniert im Alltag, hat viele Freunde und führt ein aktives Leben. Sie macht ganz viel Sport und hat sehr viel Angst. Sie möchte nicht wieder dick werden. Nie mehr. Der Spott und die Häme aus Kindertagen sitzen zu tief. Heute bekommt sie viele Komplimente für ihr Aussehen und ist richtig süchtig nach dieser Anerkennung. Wenn ihr niemand Komplimente macht, fühlt sie sich wieder dick und wertlos.

Ihr Äußeres ist ihr sehr wichtig. Sie ist zwar wunderschön und doch ist sie unzufrieden mit sich selbst. Nie ist sie wirklich zufrieden, immer findet sie etwas an sich auszusetzen. Da bleibt keine Zeit, sich wirklich selbst zu sehen. Wie schade. Sie ist fokussiert auf ihr Essen, zählt jeden Bissen, jede Kalorie und findet keinen Frieden. Sie nimmt Abführmittel und geht fleißig ins Fitnessstudio. Sie möchte ihren Panzer aus Unsicherheit, Scham und Selbstzweifel zwar  loslassen, kann es aber nicht. Zu groß ist der Druck von außen und keiner weiß, wie es im Inneren aussieht.

Ich glaube lieber Poldi, deine Schwester Lexi, ist genauso ein großer Brocken, wie du es bist. Die Fassade aufrecht zu erhalten, ist ein täglicher Kampf, den man auf Dauer nicht gewinnen kann. Zeig dich, Lexi Girl. Du bist nicht alleine.

Darf ich außerdem vorstellen? Hier kommt Karl-Gustav

Der freche Lausbub, der einfach gar nichts mehr isst.

Er will nicht! Er hat weder Appetit aufs Essen, noch aufs Leben. Er verweigert sich und möchte einfach nur verschwinden. Er möchte unsichtbar sein und das tut er auch. Jeden Tag ein bisschen mehr. Denn das “Nicht Essen” raubt Karl-Gustav ganz viel Kraft. Zu viel Kraft, um wieder gesund zu werden.

Alle beginnen sich zu sorgen und irgendwie liebt Karl-Gustav diese Form der Aufmerksamkeit. Endlich bekommt er ein paar ersehnte Seelenstreichler, die er eigentlich möchte. Er muss die bösen Geister irgendwann vertreiben und wieder Spaß am Essen/ Leben haben.Nur dann wird wieder alles gut.

Du siehst, lieber Poldi, viele Menschen haben einen Panzer, der sie beschützt. Bei mir ist er sichtbar und lässt mich durch dich groß und stark wirken. Dabei bin ich meistens ganz groß darin klitzeklein zu sein.

Ich habe im letzten Monat oft mit meiner “kleinen Tanja” gesprochen. Hui, ist das ein fröhliches, neugieriges, semmelblondes Mädchen mit großen wachen Augen, einem Pony und zwei Zöpfen. Ich weiß noch genau, wie frei ich als Kind groß geworden bin und wie wild ich war. Ich bin in einem Baubetrieb aufgewachsen und habe mehr mit Autos als mit Puppen gespielt. Ich bin auf meinem Schäferhund Marco geritten und habe jede Menge Unfug veranstaltet. Meine arme Mama! *lach* Ich hatte imaginäre Freunde und war überzeugt davon, dass Marco sprechen konnte. Das fühlt sich heute alles ganz weit weg an.

Ich wünsche mir diese Zeit zwar nicht mehr zurück, ich möchte aber gerne dieses Gefühl ohne Panzer sein zu müssen, wieder haben. Wie sich das wohl anfühlt ohne dich, mein lieber Poldi? Irgendwann werden sich unsere Wege wieder trennen müssen. Ich bin sehr gespannt darauf! Und du doch bestimmt auch, nicht wahr?

Alles Liebe,

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